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Kirchenbau und Städtebau | Autor: gs |
Traditionell suchte das Bauen für die Religion den besonderen Ort.
Urorte
waren Berggipfel und durch besondere Formationen ausgezeichnete Stellen. Neben
den herausragenden Orten suchte man auch die Orte des Rückzugs wie Höhlen.
Beides verbunden fand man im Schutzraum markanter Bäume. Die Quelle des Lebens
war an Quellen und Brunnen angelegt. Im Zusammenhang mit der Suche nach dem
besonderen Ort für den besonderen, also sakralen Bereich spricht man vom
genius loci, dem Geist eines Ortes. Den Geist eines Ortes empfinden
Menschen unabhängig vom Glaubensbekenntnis. Viele christliche Orte wurden
an Stellen errichtet, die zuvor als heidnische religiöse Plätze in Gebrauch
waren.
Biblisch: allgemein
von den Religionen auf Bergen und unter Bäumen Dt.12,2 u.ö.;
Berge: Gen.22,2; Gen.22,14; Jos.8,30; u.ö. - vor allem von
Jerusalem wird gesagt, der Zionsberg sei der höchste aller Berge und die Stadt
breitet sich um diesen aus. Bäume: Eiche More bei Sichem
Jos.24,26 mit Gen.12,6; 35,4; Dt.11,30, Ri.9,6;
Quellen/Brunnen : Gen.16,13f; Joh.4,6 Jakobsbrunnen bei Sichem.
Innerhalb einer Siedlung wurde für die Kirche oft die erhöhte Lage gewählt. Meistens wuchs die Siedlung um die bestehende Stätte der religiösen Verehrung herum. War die Lage einer Kirche neu im Ort zu planen und stand keine hervorragende Stelle zur Verfügung, dann wurde im Sinne des genius loci das Zentrum der Ortslage für den Kirchenbau gewählt. Der Kirchenbau war im alten Städtebau das höchste, prächtigste und oft auch größte Gebäude am Ort, es wirkte in seiner Mittelpunktstellung orientierend und strukturierend.
Die Lage des Kirchengebäudes auf seinem Bauplatz wurde traditionell bestimmt von der Sitte der Ostung. Die betende Gemeinde wendet sich dabei dem Ort des aufgehenden Lichtes zu, im christlichen Sinn dem Lichtglanz des Auferstandenen vom Ostermorgen (im Abendland zugleich gen Jerusalem). Erst ab dem 18. Jh. wurde die Ostung öfter aufgegeben, wenn städtebauliches Denken, vor allem beim Bau der Residenzstädte, in den Vordergrund trat. Bis heute stellt dennoch die Ostung eine symbolisch gefüllte Orientierungsleitlinie dar, auf die ohne planerische Begründung nicht verzichtet werden sollte.
Jahrhundertelang bildeten die Kirchen die Dominanten im Städtebau. Viele tun es auch heute noch. Einzelne Reformansätze widersprachen dieser Stellung, wie die mittelalterlichen Bettelorden oder die Entsakralisierungsdebatte des 20. Jahrhunderts. Sie konnten sich aber nicht durchsetzen. Kirchen sind öffentliche Räume mit herausgehobener Nutzung, ein Verzicht auf städtebauliche Betonung steht dazu in einem inneren Widerspruch. Zugleich sollen Kirchenräume mitten im Leben stehen. Beides zusammen wird vom traditionellen Konzept einer zentral angeordneten, städtebaulich prägenden Kirche unterstützt.
Eine moderne und selbstbewusste Kirche nimmt die Herausforderung an und übernimmt im Gemeinwesen eine orientierende Funktion ohne Protz. Dazu gehört eine Wahl nach dem genius loci, an eventuell erhöhter Stelle, im Zentrum der Siedlung, in einer Sichtachse oder an einem Blockende. In Höhenentwikcklung kann das Kirchengebäude prägend in den Stadtkontext integriert werden. Nach Jahren der Zurückhaltung im Turmbau wird heute eine dezente, meist lichte Vertikale wieder als angemessen betrachtet. In diesem Zusammenhang kann auch der Gedanke eines stillen Zeichens (z.B. Buntglasturm) aufgegriffen werden, nachdem neue Geläute nicht selten auf Widerstand in der Nachbarschaft stoßen.
Im Funktionsgefüge einer Siedlung dient eine zentrale Lage der Kirche der Aufwertung des öffentlichen Lebens überhaupt. In einer Nachbarschaft mit Verwaltung, Schule und anderen Kultureinrichtungen gewinnen alle. Zur Nachbarschaft können auch andere christliche Kirchen und neuerdings Moscheen gehören. Nur in einer zentralen Lage kann mit Besuchern bei geöffneter Kirche gerechnet werden. Eine zentrale Lage kommt der Gemeinde entgegen, die nach Möglichkeit fußläufig zum Gottesdienst kommen will.
In einer Zeit mit sehr teuren Flächen im Zentrum liegt für Kirchenbauten öfter das Hinausrücken in den Rand nahe. Da aber einiges für die zentrale Lage spricht, können auch unkonventionelle Lösungen in dieser Richtung zum Zug kommen. Kirchen können in größere Gebäude an prominenter Stelle eingebaut werden und sich Erschließungsflächen mit anderen Nutzungen teilen. Speziell für Parkierungsflächen gilt, dass sich die kirchliche Nutzung antizyklisch zu geschäftlichen Nutzungen verhält (Bildbeispiel: Pfarreizentrum St. Trinite, Genf: Die Gemeinde hat das Eckgrundstück bis auf die prominente Ecke an gewerbliche Nutzer veräußert.)
Architekturwettbewerbe der letzten Jahre zeigen, dass Kirchengebäude als architektonisch-soziale Besonderheit gefragt sind mit entsprechender Wirkung auf den Stadtraum. Die Kirche sollte nicht ohne Not auf diese ästhetisch begründete gesellschaftliche Stellung verzichten.
Autor: Gunther Seibold
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