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Seite von: Gunther Seibold
Anordnung
Die Predigt bildet die Mitte
des evangelischen Gottesdienstes. Daher gebührt dem Predigtort zentrale
Bedeutung im evangelischen Kirchenbau. Aufgrund traditionell vorhandener
Chorräume mit Altären rückte dagegen die Kanzel vielfach seitlich ins zweite
Glied.
Neuere Entwicklungen heben auch im evangelischen Kirchenbau die
feiernde Gemeinde am Tisch des Herrn wieder stärker hervor. Damit stellt sich
die Herausforderung, beidem - Kanzelwort und Altarsakrament - angemessen gerecht
zu werden.
Als weitere Vorüberlegung ist zu bedenken, dass für die moderne
Predigt vermieden muss, die Verkündigerin durch ein überzogenes Kanzelbauwerk
als über der Gemeinde schwebend und von oben herab verkündigend zu
inszenieren.
Geschichte
Wer im Gottesdienst bei der Verkündigung von
allen gehört und gesehen werden wollte, suchte sich schon immer akustisch und
asthetisch hervorgehobene Orte. Dafür bieten Redner auf Straßen und Plätzen
Anschauungsbeispiele: Sie suchen in erster Linie wenige Stufen erhöhten
Standpunkt. Akustisch bewähren sich neben der erhöhten Stellung zwei
Varianten: Entweder der Rhetor stellt sich in die Mitte des Publikums, um den
Abstand zu den Hörern möglichst klein zu halten, oder er stellt sich
bewusst an eine Wand, die den Schall seiner Rede ins Publikum abzustrahlen
hilft.
Beispiele für Predigtorte im Freien bietet auch die biblische
Tradition: Öfter stehen die Verkündiger auf dem Berg (d.h. am Hang).
Dazu gehören Mose, Goliath, Jesus. Ganz bewusst agiert Jesus auf der Suche nach
dem akustisch günstigen Ort, als er sich zur Rede im Boot ein Stück weit auf den
See fahren lässt. Weitere Predigtorte im Freien sind die Höfe und Hallen des
Tempels. Den Beginn einer Kanzeltradition entdeckt man in Esra: Dort wird für
die synagogale Versammlung des Volkes ein hölzerne Sprechbühne
aufgebaut.
Im Kirchenbau wird der Ort der Verkündigung
ebenso entsprechend den praktischen Bedürfnissen eingerichtet. Am Anfang gab es
dabei keinen speziellen Ort für das Wort der Predigt. Es wurde wie die
anderen Worte im Gottesdienst von einer dafür geeigneten Stelle aus gesprochen.
Die vorhandenen Orte waren die Kathedra (Bischofsstuhl) und (seit dem 4.
Jh.) der Ambo, der näher zur Gemeinde hin lag.
Erst im
13.Jh. entwickelten die Bettelorden die ausschließlich der Predigt
vorbehaltene Kanzel. Dass es ein erhöhter, von einer Brüstung umschlossener
Platz ist, hat nicht sakralistische, sondern praktische Bewandnis (die
begriffliche Verwandtschaft zu den cancelli, d.h.
Altarschranken, bezeichnet keinen entwicklungsgeschichtlichen
Zusammenhang). Zunächst waren Kanzeln transportable Holzgestelle, dann
verfestigten sie sich mehr und mehr und wurden integraler Bestandteil des
Bauwerkes. Kanzeln rückten, um dem Publikum möglichst nahe zu sein,
in langen Kirchenräumen bis in die Mitte des Schiffs an einen Pfeiler
dort. In kleinen Kirchen wurden sie seitlich getrennt vom Altar angeordnet. Die
Entdeckung, dass eine schallreflektierende Fläche über der Kanzel die
Schallabstrahlung konzentriert, sorgt für die Einrichtung von Kanzeldeckeln mit
immer höherem Dekor.
Die Reformation verlegte das Gewicht im
Gottesdienst vom Abendmahlssakrament auf die Wortverkündigung (Foto: Stuttgart,
Schlosskirche). Dadurch rückte
die Kanzel in den Mittelpunkt des Interesses. Öfter sorgte dies auch für eine
Konzentration des Gottesdienstraumes auf die Kanzel. Im Ideal spricht der
Prediger in der Mitte der versammelten Gemeinde. Der lutherische Beitrag zur
Kirchenbaugeschichte wird als Konsequenz dessen der Quersaal mit
Kanzelaltar (zur Anordnung der so genannten Prinzipalstücke siehe
dort).
Am häufigsten wurde die Kanzel im evangelischen Kirchenbau
seitlich vor dem Altar angeordnet, bei vorhandenem Chorraum am Chorbogen. Im
zwanzigsten Jahrhundert entfällt der Bau ausgeschiedener Chorräume zunehmend.
Die Kanzel wird dann etwas versetzt vor den Altar gesetzt, oft zusammen mit dem
Taufstein in Symmetrie zur Hauptachse des Raumes.
Kanzelkunst
Seit gotischer Zeit sind Kanzeln Bestandteil
des Kirchenbaus und seines stilistischen Ausdrucks. Gotische Kanzeln werden
maßwerkverziert, barocke Kanzeln werden durch Stukkaturen
umspielt.
Figürliche und bildnerische Programme orientierten sich häufig
an den traditionellen Symbolen der 4 Evangelisten. Damit entsprach man der
Funktion der Evangeliumsverkündigung. Zu den Evangelisten treten
Christusdarstellungen, bei weiteren Motiven häufig Paulus, Mose und Petrus.
Andere Bildprogramme zeigen Hauptstationen der Heilsgeschichte.
Der
Kanzelpfeiler wurde öfter bildnerisch skulpiert und zeigt dann überwiegend Mose,
der für das Wort des alten ursprünglichen Bundes steht. Der Kanzeldeckel wurde
oft durch eine Christusfigur besetzt und ornamental umrankt. Die Verbindung von
Deckel und Kanzelkorb wurde als Rückwand in vielen Fällen durch Malerei
gestaltet. Auf der Unterseite über dem Haupt des Predigers schwebt in vielen
Kanzeln die Taube als Symbol des Heiligen Geistes.
Kanzeldeckel
Kanzeldeckel hatten technische und dekorative Funktion: Ein
Kanzeldeckel schafft für den Sprecher einen Schallraum und damit um ihn herum
mehr Fülle. Vor allem sorgt der Kanzeldeckel dafür, dass vom Mund nach oben
ausgehende Schallanteile nach unten reflektiert werden und damit die Gemeinde
treffen (siehe Skizze). Schließlich verhindert der Kanzeldeckel dadurch auch,
dass die nach oben ausgehenden Schallanteile nach Reflexion an der Decke mit
Zeitverzögerung die Gemeinde treffen und dadurch das Schallsignal undeutlicher
machen. Mit der Einführung von Kanzelmikrofonen ist dieser technische Aspekt
unnötig geworden. In neueren Kirchen werden in der Regel keine Kanzeldeckel mehr
eingebaut.
Stuttgart, Markuskirche:
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